Raus aus der Komfortzone
Im Jahr 2009 habe ich begonnen, mich intensiver mit Yoga zu beschäftigen. Ich ging davon aus, dass es mir leicht fallen würde, doch direkt im ersten Kurs war ich gefühlt der einzige, der ächzend und prustend von Stellung zu Stellung wechselte. Mir war klar, dass die physischen Verrenkungen irgendwie gut für mich sein müssten, aber während des Yoga fühlte es sich alles andere als gut an.
Später als ich mit BJJ anfing hatte ich ähnliche Erlebnisse. Statt sich selbst in eine Brezel zu verbiegen und dann mehrere Atemzüge bewusst innezuhalten und in den Körper zu horchen lagen jetzt regelmäßig schwitzende starke Männer auf meinem Brustkorb, schnürten mit den Atem ab und versuchten mit entweder zu würgen oder einen Arm auszurenken. Und trotzdem bin ich regelmäßig hingegangen.
Irgendwann stellte ich dann eine wesentliche Gemeinsamkeit zwischen dem Yoga inmitten von hippie-esken Pazifisten und einer der zentralen Kampfkünste im modernen MMA fest: Bei beiden ging es darum, in unangenehmen Situationen zu geraten, dort einen kühlen Kopf zu bewahren, den Moment ohne Panik zu erfassen und dann den nächsten Schritt zu gehen. Entweder in eine andere Asana zu wechseln oder eine Aktion auszuführen, die die eigene Situation im Zweikampf verbessert. Die Parallelen zum Leben sind für mich eindeutig. Immer wieder gerät man in eine unangenehme Lage, in der man sich orientieren und weiterbewegen muss. Ob es Yoga, BJJ oder Corona-bedingte Lockdowns sind. In angespannten Lagen nicht zu verzweifeln, sondern sich zu sammeln und seine Energie zu bündeln setzt voraus, dass man sich zumindest mit der Unkomfortzone arrangiert, sie bewusst immer wieder aufsucht.
Im letzten Jahr bin ich eher zufällig über den Eismann Wim Hof gestolpert. Auch er propagiert eine Methode, in der es um unangenehme Situationen geht: Er setzt sich der Kälte aus. Intensiver Kälte.
Die Wim-Hof-Methode erscheint zu Beginn wie eine New-Age-Bewegung, doch der Erfolg in sozialen Medien ist klar erkennbar. Im Kern handelt es sich um eine Atemmethode, die auf der Meditationstechnik Tummo basiert. Durch den korrekten Atem vorbereitet geht es dann gerne in einen eiskalten See, die Eistonne oder einfach nur eine kalte Dusche. Die Verbindung von Atem und Kälte führt zu einer Änderung des pH-Wertes im Blut, einer vermeintlichen Kontrolle von Entzündungsreaktionen und insgesamt einer Verbesserung des Immunsystems. Ob dem wirklich so ist, wurde wissenschaftlich noch nicht geklärt.
Spannend ist jedoch, dass es eine Vielzahl von Methoden und Techniken gibt, die Atem und Temperatur betreffen. In der Regel sorgen sie dafür, die eigentlichen Komfortbereich des Körpers zu verlassen, um dadurch Änderungen oder Anpassungen zu stimulieren.
Entscheidend ist, dass Veränderung nur dann stattfinden kann, wenn man seine Komfortzone verlässt. Ob Yoga, Kampfsport oder Eistauchen - freiwillig Dinge zu tun, die uns unangenehm sind, kann uns helfen, mit unangenehmen Dinger besser umzugehen, auch wenn wir diese nicht selbst herbeigerufen haben.